Wo steht „et Klänet em Lähm on kräscht nä“?
Herkunftsmäßige und allgemeine Kennzeichnung der Billeder Mundart
Der Veröffentlichung meines Beitrags mit obigem Titel Ende der siebziger Jahre in der „Neuen Banater Zeitung“ ging eine minuziöse und komplizierte Untersuchung über die in Billiet in den Jahren 1765-1766 ansässig gewordenen Einwandererfamilien voraus.
Aufgrund meiner Nachforschungen und der Auswertung der „Wiener Konsignationen“ (Auswandererregistrierungslisten), die in den „Quellen zur Deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa“ veröffentlicht sind, anhand des „Nekrologium In Domine Defunctorum Parochiae Possessionis Billiet“ (Sterbematrikel der Jahre 1766 bis 1774), mit Hilfe der Besitzblätter aus dem ersten „Grund Buch des Dorfs Billiet Erricht und eingeführt vom 1-ten November 1774“ und anhand des vom Anfang des vorigen Jahrhunderts stammenden „Ritters Geographisch-Statistisches Lexikon“ war es mir möglich geworden, ein Namensverzeichnis aller 252 Familienoberhäupter der in den Jahren 1765-1766 auf dem „Praedium Billiet“ angesiedelten Familien, mit Angabe ihrer Herkunftsorte und Herkunftsgebiete, zu erstellen.
Sowohl dieses Namensverzeichnis wie auch das von mir bearbeitete und ergänzte Verzeichnis über die im ersten Grundbuch eingetragenen Familien sind im Billeder Heimatblatt 1988 auf den Seiten 13 bis 19 mit der auf Seite 20 abgebildeten Karte der „Herkunftsorte der 252 Erstansiedlerfamilien von Billed“.
Aus diesen mit viel Zeitaufwand und viel Arbeit erstellten Verzeichnissen geht hervor, daß Billed eines der Dörfer im Banat ist, deren ehemalige deutsche Einwohner die Nachkommen von Einwanderern aus verschiedenen, jedoch benachbarten Gegenden Deutschlands sind. Auf diese Weise stellte ich auch fest, daß der zahlenmäßig größte Teil aus moselfränkischen Gebieten kam, in welchen moselfränkisch gesprochen wurde.
Eine Zusammenfassung der Billeder Erstansiedlerfamilien auf ihre Herkunftsgebiete sieht folgendermaßen aus: 94 Familien stammten aus den Kreisen Bernkastel, Birkenfeld, Merzig, Ottweiler, Saarburg, Saarlouis, Trier, St. Wendel und Wittlich. Die 30 Familien aus den luxemburgischen Distrikten Diekirch, Grevenmacher und Luxemburg wie auch die 1 Familie aus dem Kreis Zell bei Koblenz vermehrten die Anzahl der moselfränkisch Sprechenden auf 125 Familien. Sie bildeten die Hälfte der in Billed ansässig gewordenen Einwanderer.
Dieser überwiegend moselfränkisch sprechenden Mehrheit standen 55 rheinfränkische Mundart sprechende Familien gegenüber. Von diesen kamen 5 Familien aus den Kreisen Alzey und Bingen, 2 Familien aus den Kreisen Bensheim und Heppenheim, 20 Familien aus dem Kreis Meisenheim, 4 Familien aus den pfälzischen Bezirksamtmannschaften Kusel, Pirmasens, St. Ingbert und Zweibrücken und 24 Familien kamen aus den lothringischen Kreisen Bolchen, Chateau-Salins, Diedenhofen, Forbach und Saargemünd. Alle Angehörigen dieser Familien sprachen rheinfränkisch. 17 ostfränkische Mundart sprechende Familien stammten aus den Bezirksamtmannschaften Alzenau, Lohr und Würzburg.
Die badischen Kreise Karlsruhe und Mosbach stellten 13 südfränkisch sprechende Familien. Aus der württembergischen Oberamtmannschaft Waldsee kam eine schwäbisch sprechende Familie. Westfälisch sprachen 41 Familien, die aus den Kreisen Arnsberg, Meschede und Olpe des westfälischen Sauerlandes kamen und in Billiet eine neue Heimat fanden. (Dr. Friedhelm Treude bezifferte sie sogar mit 55.)
Zusammenfassend stellte ich fest, daß von den 6 verschiedene Mundarten sprechenden Ansiedlerfamilien 125 Familien (50%) moselfränkisch, 55 Familien (21%) rheinfränkisch, 41 Familien (16%) westfälisch, 17 Familien (6,6%) ostfränkisch, 13 Familien (6%) südfränkisch und eine Familie (0,4%) schwäbisch sprachen. Diese 6 von den Erstansiedlern gesprochenen Mundarten waren an der Herausbildung der heute noch gesprochenen Billeder Mundart beteiligt.
Nach der überwiegenden Zahl der moselfränkisch Sprechenden könnte man schließen, daß die Billeder Mundart eine vorwiegend moselfränkische sein müßte. Doch darf man nicht von der Anzahl der Siedler auf die jetzige Mundart schließen, denn seit der Ansiedlung fanden zwischen den in einem Dorf gesprochenen Mundarten Ausgleiche statt. Durch den Zusammenschluß in einer Dorfgemeinschaft trachteten die Sprecher, ihre Sprachgewohnheiten zu vereinheitlichen. So kam es allmählich im Laufe der Jahrzehnte zu einem Sprachausgleich, dessen Ausgangspunkt die verkehrssprachliche Ebene war. Dabei haben sich jene Mundarten durchgesetzt, die sich am meisten der Hochsprache näherten und die auch von den Nachbarsdörfern am leichtesten zu verstehen waren. Das trifft auch für Billed zu, denn die heute gesprochene Billeder Mundart trägt mehr die typischen Merkmale des Rheinfränkischen und in geringerem Maße die des Moselfränkischen, obwohl bei der Ansiedlung die Hälfte der Eingewanderten moselfränkisch sprachen.
Weil über die Kennzeichen des Rheinfränkischen und des Moselfränkischen in der Billeder Mundart ausführlich im Billeder Heimatbuch in dem Beitrag von Helga Scholz „Die Billeder Mundart“ auf den Seiten 523 bis 531 und in Diplomarbeiten von aus Billed stammenden ehemaligen Germanistikstudentinnen berichtet wird, sollen sie in diesem Beitrag nicht wiederholt werden.
Festzuhalten ist aber, daß die Billeder Mundart als Folge des Nebeneinanderbestehens mehrerer Mundarten eine rheinfränkisch-moselfränkische Mundart ist, in der die rheinfränkischen Kennzeichen in der Mehrzahl verblieben sind, von denen sich die pfälzischen am meisten durchgesetzt haben. Die Billeder Mundart unterscheidet sich von den Mundarten der Nachbarsdörfer besonders durch die überoffene Aussprache des offenen e. Diese lautliche Besonderheit wird in etwas vergröberter Form im folgenden Satz, mit welchem man seinerzeit die Billeder verspottete, wiedergegeben: „Et Klänet steht met äm Pän em Lähm on kräscht nä“ (Das Kleine steht mit einem Bein im Lehm und schreit nein).
In die Mundart sind auch fremdsprachliche Wörter eingegangen und sind an die Lautgestalt der Mundart angepaßt worden. So gibt es Wörter französischer Herkunft, die von den Einwanderern mitgebracht wurden und heute nicht als fremdsprachlich empfunden werden, wie „alert“ (lebhaft), „Arrescht“ (Arrest-Gefängnis), „paljasche“ (baljaschen, lärmen, toben), „Pagasch“ (Bagage, Gepäck) usw.
Durch die Ansiedlung in einer neuen Umgebung mit anderen Verhältnissen und das Zusammenleben mit anderen Völkern drangen neue Wörter auch in den Wortschatz der Billeder Mundart ein. Hauptsächlich Wortgut aus dem Ungarischen wie „Patschi“ (bacsi-Onkel), „Piko“ (bika-Stier), „Punde“ (bunda-Fellmantel) auch Wortgut aus dem Rumänischen wie „Puletin“ (buletin-Ausweis), „Printsl“ (branza-Schafkäse) und andere. Im Kontakt mit der österreichischen Beamtenschaft bereicherte sich die Mundart mit Wörtern wie „Krien“ ( Kren-Meerrettich), „Rafangskere“ (Rauchfangskehrer-Schornsteinfeger), „Hetschl“ (Hagebutte), „Akratsl“ (Agrassel-Stachelbeere), „Spennodl“ (Spennadel-Stecknadel), „Parteis“ (Paradeis-Tomate) usw.
Eine genaue mundartliche Zusammensetzung des Wortschatzes der Billeder Mundart in Prozenten ausgedrückt ist schwer zu erarbeiten, müßte man doch tausende Wörter auf ihre Herkunft untersuchen. Bei dem Unterfangen der ehemaligen Germanistikstudentin Margarethe Neumann, geb. Weber, 431 Wörter der Billeder Mundart zu untersuchen, die im täglichen Sprachgebrauch vorkommen, stellte sie fest, daß 332 Wörter (77%) rheinfränkischer Herkunft waren, davon 250 Wörter nord-, west- und vorderpfälzischen Ursprungs und nur 51 Wörter (11,8%) moselfränkischer Herkunft. 22 der untersuchten Wörter (5,1%) sind aus dem ganzen rheinischen Gebiet, während 26 Wörter (6,1%) aus dem Übergangsgebiet zwischen dem Rheinfränkischen und dem Moselfränkischen stammen.
Das Ergebnis dieser Untersuchung bestätigt das anfangs Behauptete, daß nämlich die heutige Billeder Mundart trotz seinerzeit zahlenmäßiger Mehrheit an Einwanderern aus moselfränkischen Gebieten eine Mischmundart mit vorwiegend rheinfränkischem Charakter ist, in der sich die pfälzischen Merkmale durchgesetzt haben.